Fahnen hissen.
Performance 2016
FAST FORWARD, Performance-Festival, Lenzburg
Ausgehend von Flaniergängen durch die Altstadt Lenzburgs fiel der Performerin Olivia Wiederkehr auf, wie die Gentrifizierung – und damit einkehrende wirtschaftliche und soziale Herausforderungen – auch vor den Toren dieser Provinzstadt nicht innehielt: alteingesessene Geschäfte wurden innerhalb kürzester Zeit geschlossen; Häuser wechselten ihre Besitzer und wurden zu luxuriösen Wohneinheiten umgebaut. Dieser sichtbare Wechsel drängte in Wiederkehr die Suche nach einem möglichen Sachverhalt von Wert- und Identitätsgenerierung innerhalb eines Stadtraumes auf. Historische Recherchen liessen sie ihr Augenmerk auf die Entstehung der Stadt lenken, in dieser sie vermeinte, tiefsitzende Wurzeln von Zweitrangigkeit, Unbedeutsamkeit zu erkennen: trotz wirtschaftlichem Erfolg der Stadt, kam diese nie zu der erhofften (?) Bedeutsamkeit. Eine subjektive These.
Ein weiterer Aspekt, der Wiederkehr während ihren Flanierrunden auffiel, waren die Wappen und Fahnen, die auf Häuser, über Türen und Brunnen gemalt waren. Dies inspirierte sie, über die Bedeutung der Fahne nachzudenken: die Fahne als Erkennungsmerkmal (Identität eines Volkes, Zugehörigkeit einer Gruppe), als strategischer Botschaftsträger, als Erzeuger von Aufmerksamkeit, als Signalisierungselement, oder der Akt des Fahnen Hissens als Willkommensheissung in politischen Belangen.
Intuitiv verwob Wiederkehr ihre Recherchen in ihre Performance „Fahnen hissen“. Sie wollte der Stadt Lenzburg eine visuell würdevolle Geste der setzen, ihr eine kurze Dauer von Aufmerksamkeit schenken. Ihr ein ,performativer Segen sprechen‘.
Komplett verhüllt in einen schwarzen Schlauch, aus einem einzigen Reissverschluss genäht, und nur mit kleinstem Sichtschlitz versehen, zog sie zum Zeitpunkt ihres Auftrittes durch die Gassen. Darunter trug sie, an einem speziell dafür genähten Gürtel, vier Zeltstangen und vier Fahnen – für jede Himmelsrichtung eine. Die Fahnen waren aus weissem Papierstoff genäht, mit schwarzen Schriftzügen bedruckt. Bei genauem Betrachten, konnte man das Wort ,silence‘ darauf erkennen. An einer viel frequentierten Kreuzung in der Fussgängerzone blieb sie stehen. Langsam fing sie an, den Reissversschluss zu öffnen, eine Bahn nach der anderen, immer schneller, bis sie sich mit den Armen und dem Oberkörper aus der Enge befreit hatte. Da hisste sie die erste Fahne, schwenkte sie, sodass diese flatterte und das am Fahnenspitz angebrachte farbige Band im Windzug tanzte. Dann steckte sie das Ende der Fahnenstange in die dafür vorbereitete Verankerung an ihrem Gürtel. So fuhr sie fort, bis alle Fahnen in ihrem Gürtel steckten. Zum Schluss drehte sie sich langsam, immer schneller im Kreise. Der Stoff rauschte laut, fast bedrohlich und majestätisch, die Bänder tanzten dazu. Da kämpfte sie plötzlich gegen die Kraft des Windes in den Fahnen, ausgelöst durch einen Windstoss, hielt inne, und zog langsam weiter mit gehissten Fahnen durch die Altstadt und verschwand.